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Nachhaltigkeitspräferenzen in der Beratung


Ab 2. August 2022 müssen Finanzberater ihre langjährigen und neuen Kunden nach deren „Nachhaltigkeitspräferenzen“ fragen. Diese Pflicht beruht auf einer EU-Verordnung. Auch dieser Begriff wird von der EU-Kommission detailliert normiert.

Schon heute müssen Anleger einem Finanzberater zahlreiche Auskünfte geben, wie zum Beispiel Anlageziele, Risikoneigung, Erfahrungen und Kenntnisse, bevor dieser Finanzprodukte wie Investmentfonds empfehlen darf. Zu diesen Anlagepräferenzen kommen ab 2. August 2022 bei der Beratung hinsichtlich (u.a.) Wertpapieren und Versicherungsanlageprodukten die Nachhaltigkeitspräferenzen dazu.

Eine Nachhaltigkeitspräferenz ist unter anderem die Entscheidung eines Anlegers, ob und, wenn ja, inwieweit bei der geplanten Veranlagung ein Finanzinstrument (zum Beispiel ein Investmentfonds) einbezogen werden soll, bei dem ein Mindestanteil in ökologisch nachhaltige Investitionen angelegt wird.

In der Taxonomie-Verordnung definiert die EU, was eine „ökologisch nachhaltige Investition“ ist. Darunter versteht die EU eine Investition, in eine oder mehrere Wirtschaftstätigkeiten, die gemäß dieser Verordnung als ökologisch nachhaltig gelten. Konkreter wird die Taxonomie-Verordnung in Artikel 3, denn dieser bestimmt, dass eine Wirtschaftstätigkeit dann als ökologisch nachhaltig gilt, wenn sie (verkürzt gesagt):

  • einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung eines oder mehrerer Umweltziele leistet,
  • nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines oder mehrerer Umweltziele führt,
  • unter Einhaltung des festgelegten Mindestschutzes ausgeübt wird und
  • technischen Bewertungskriterien, die die Kommission festgelegt hat, entspricht.

Die Taxonomie-Verordnung ist bereits seit 12. Juli 2020 in Kraft. Die im letzten Punkt genannten technischnischen Bewertungskriterien, die die EU-Kommission festzulegen hat, gibt es dennoch bis heute (Sommer 2022) nur für zwei der sechs – ebenfalls von der EU normierten – Umweltziele (siehe blauer Kasten). Dieses Regelwerk ist also aktuell nur unvollständig vorhanden.

Artikel 9 der Verordnung (EU) 2020/852 (Taxonomie-Verordnung) legt die sechs Umweltziele der EU fest. Diese lauten:
a) Klimaschutz;
b) Anpassung an den Klimawandel;
c) die nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen;
d) der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft;
e) Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung;
f) der Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.

Die Nachhaltigkeitspräferenzen bestimmen sich also primär nicht an den persönlichen und individuellen Sichtweise der Anleger zu Nachhaltigkeit und Umweltzielen. Was ökologisch und nachhaltig ist, legt die EU in Verordnungen fest.

Anlegern steht es jedoch frei, sich beim Veranlagen an den EU-Kriterien zu orientieren, oder nicht. Beispielsweise wird die EU auch Atomenergie als nachhaltige Energieform definieren – und das entspricht wahrscheinlich nicht den Präferenzen aller Investoren. Anleger können auf die Frage ihres Finanzberater zu nachhaltigen Aspekten bei der Veranlagung auch antworten: Nein, ich möchte als „nachhaltigkeitsneutral“ eingestuft werden.

Als nachhaltigkeitsneutral werden Kunden dann eingestuft, wenn Nachhaltigkeit bei der Geldanlage keine bestimmende Rolle spielen soll, sondern beispielsweise Rendite und Risiko die wichtigsten Präferenzen sind. Dass Kunden nachhaltige Investments bei der Veranlagung gänzlich ausschließen, sehen die diesbezüglichen Leitlinien der Europäischen Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA grundsätzlich nicht vor. Aber zumindest als nachhaltigkeitsneutral können sich Anleger einstufen.

Stufen sich Anleger als nachhaltigkeitsneutral ein, dann heißt das nicht zwingend, dass ihnen nachhaltige, klima- und umweltfreundliche Aspekte beim Veranlagen egal sind. Es bedeutet lediglich, dass sie nicht mit den EU-Kriterien konform gehen. Nachhaltigkeitsneutrale Anleger können natürlich trotzdem nachhaltig, ethisch, ökologisch und klimafreundlich investieren, zum Beispiel mit Finanzprodukten, die eigene oder andere anerkannte (aber eben nicht EU-konforme) Nachhaltigkeits-Standards berücksichtigen.

Das Widersprüchliche an der europäischen Gesetzgebung ist, dass Anleger – um sich an anderen Nachhaltigkeits-Maßstäben als jenen der EU zu orientieren – zuerst einmal „Nein“ sagen müssen, um dann trotzdem „Ja“ zu nachhaltigen Finanzprodukten sagen zu können.


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Lesen Sie Beitrag 6: Auch „sonstige“ Finanzprodukte können nachhaltig investieren


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