Wie realitätsnahe oder -fern ist das WLTP-Prüfverfahren?
Seit 1. September 2017 müssen erstmals in der Europäischen Union neu genehmigte Personenkraftfahrzeuge nach dem WLTP-Prüfverfahren gemessen werden. Dieses Testverfahren löst den bis dahin verwendeten NEFZ-Prüfzyklus ab, der als zu realitätsfern angesehen wurde. Wie realitätsnahe ist das WLTP-Verfahren?
Das WLPT-Prüfverfahren (Worldwide Harmonized Light-Duty Vehicle Test Procedure) ermittelt die Verbrauchs- (Kraftstoff und Strom) sowie Abgaswerte eines Fahrzeuges auf einem Rollenprüfstand. Bei diesem durch eine EU-Verordnung geregelten Testzyklus wird stärker beschleunigt sowie ein dynamischeres Fahrprofil durchlaufen als beim alten NEFZ-Prüfzyklus. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 131 km/h, die durchschnittliche Geschwindigkeit während des dreißigminütigen Tests, bei dem etwa 23 Kilometer Strecke abgespult werden, beträgt 47 km/h.
Nah oder fern der Realität?
Der Verbrauchswert eines Autos sind natürlich keine konstante Größe, sondern von vielen Faktoren abhängig, beispielsweise vom Fahrstil, dem Wetter und dem Streckenprofil. Sommer- oder Winterreifen ergeben einen Unterschied, ebenso wie eine ausgeschaltete oder auf Hochtouren laufende Klimaanlage und schweres Urlaubsgepäck im Kofferraum. Die durch WLPT ermittelten Werte sollen es uns Konsumenten ermöglichen, die Verbrauchswerte verschiedener Marken und Modelle auf Basis eines objektiven Prüfverfahrens zu vergleichen.
Gleichzeitig soll der ermittelte Verbrauchswert aber auch möglichst realitätsnah sein, um die auftretenden Betriebskosten einschätzen zu können. Diesem Anspruch ist bis dato kein Prüfverfahren gerecht geworden, auch WLTP schafft das nicht. Ein Grund dafür ist, dass für den Test Fahrzeuge mit Serien- bzw. Basisausstattung herangezogen werden. Diese bringen spürbar weniger Gewicht auf die Waage als vollausgestattete Autos.
Insbesondere bei Fahrzeugen mit Hybrid-Antrieb, also Fahrzeugen, die sowohl einen Verbrennungsmotor als auch einen Elektroantrieb an Bord haben, wird das WLTP-Verfahren dem Anspruch von Realitätsnähe nicht gerecht.
2,5 Tonnen, fast 400 PS, nur 1,2 bis 1,7 l Benzinverbrauch
Ein bekannter deutscher Premium-Autohersteller weist für ein Sport Utility Vehicle SUV mit Benzin-Hybrid-Antrieb (knapp 300 Benziner-PS plus Elektromotor mit gut 100 PS Spitzenleistung), 2.500 Kilogramm Leergewicht und fast 400 PS Systemleistung einen Verbrauch von 1,2 bis 1,7 Liter Benzin sowie CO2 Emissionen von gerade einmal 27 bis 39 Gramm pro Kilometer aus. Angetrieben wird dieses SUV von einem Sechs-Zylinder-Benzinmotor und einem Elektromotor, der sich aus einem etwa 300 Kilogramm schweren Batteriepaket speist. Damit sind bis zu 88 Kilometer (laut WLTP) rein elektrisches fahren möglich.
Werfen wir einen Blick in Testberichte, zeigen sich ganz andere Verbrauchs- und Abgaswerte. Der deutsche Automobil-Club ADAC ermittelte in einem „Ecotest“ einen Verbrauch von 5,4 Liter Superbenzin auf 100 Kilometer sowie einen CO2-Ausstoß von 264 g CO2 pro Kilometer. Beim Test einer Autozeitschrift ergab sich ein Verbrauch von 7,6 Liter Superbenzin auf 100 Kilometer. Also ein Vielfaches des WLTP-Wertes.
Ist das Greenwashing?
Befragen wir unseren Hausverstand: ein 2,5 Tonnen schweres und fast 400 PS starkes SUV verbraucht nur 1,2 bis 1,7 Liter Benzin. Ist das in der alltäglichen Fahrpraxis realistisch? Der Hausverstand sagt nein. Die Testergebnisse geben dem Hausverstand recht. Trotzdem „werben“ Autohersteller (nicht nur der hier beispielhaft genannte, vergleichbare SUVs gibt es von mehreren Herstellern) mit dem geringen Verbrauch und den niedrigen CO2-Emissionen.
Die Automobilhersteller sind über den Verdacht des Greenwashings allerdings erhaben. Denn sie messen streng nach dem WLTP-Prüfverfahren. Sie erfüllen die zu Grunde liegende Norm bzw. die Bestimmungen der EU-Verordnung. Wer betreibt hier also Greenwashing? Eher die Europäische Kommission selbst. Denn sie legitimiert dieses Prüfverfahren – womit es offiziell kein Greenwashing, sondern geltendes Gesetz ist. Dass die Prüfergebnisse realitätsfern sind und Fakten vortäuschen, die in der Praxis nicht erreichbar sind, ist in diesem Fall irrelevant, denn die EU hat ihren Segen dazu gegeben. Österreich beteiligt sich an diesem Greenwashing, indem Fahrzeuge mit Benzin-Hybrid-Antrieb unter anderem von der Normverbrauchsabgabe NoVA befreit sind.
Und das ist im Zusammenhang mit dem WLTP-Prüfverfahren nicht die einzige fragwürdige Praxis, Stichwort Flottenverbrauch und Emissionsgemeinschaften. Dazu mehr in einem der nächsten Beiträge.
Sustainable Entrepreneur lehnen Greenwashing ab und lassen sich nicht täuschen.
Quellen:
Verordnung (EU) 2017/1151 der Kommission vom 1. Juni 2017 zur Ergänzung der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Fahrzeugreparatur- und -wartungsinformationen, zur Änderung der Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission sowie der Verordnung (EU) Nr. 1230/2012 der Kommission und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission
Österreichischer Automobil-, Motorrad- und Touringclub (ÖAMTC), www.oeamtc.at, „Umstellung der Normverbrauchs-Messung von NEFZ auf WLTP“, abgerufen am 3. Oktober 2021
(Deutscher) Verband der Automobilindustrie, www. vda.de, „WLTP – weltweit am Start für realitätsnähere Ergebnisse beim Kraftstoffverbrauch“, abgerufen am 3. Oktober 2021
BMW Austria Gesellschaft m.b.H., www.bmw.at, abgerufen am 3. Oktober 2021
AutoZeitung, Bauer Xcel Media Deutschland KG, „Elektrisierter X5 im Test“, abgerufen am 3. Oktober 2021
Allgemeiner Deutscher Automobil-Club e.V. (ADAC), www.adac.de, „BMW X5: Wie gut ist der Premium-SUV?“, abgerufen am 3. Oktober 2021