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Das Dilemma der Finanzindustrie


Als eine der ersten Branchen hat die EU die Finanzindustrie mit strengen Regularien in die Pflicht genommen. Es sind die Finanzdienstleister, die mit nachhaltigen Finanzprodukten (zum Beispiel „grünen“ Investmentfonds, ETFs und Lebensversicherungen) dazu beitragen sollen, Vermögenswerte ihrer Kunden verstärkt in nachhaltige Investments umzulenken.

Dazu hat die EU-Kommission in der Offenlegungsverordnung definiert, was sie unter einer „nachhaltigen Investition“ versteht (siehe blauer Kasten im Originalwortlaut). Nachhaltig zu investieren ist also gesetzlich normiert. Individuelle oder persönliche Sichtweisen zur Nachhaltigkeit beim Geldanlegen spielen nur mehr eine untergeordnete Rolle.


In Artikel 2 Ziffer 17 der Verordnung (EU) 2019/2088 (Offenlegungsverordnung), definiert die EU-Kommission den Begriff „nachhaltige Investition“ als eine Investition in eine wirtschaftliche Tätigkeit, die

  • zum Erreichen eines Umweltziels beiträgt, gemessen beispielsweise an Schlüsselindikatoren für Ressourceneffizienz bei der Nutzung von Energie, erneuerbarer Energie, Rohstoffen, Wasser und Boden, für die Abfallerzeugung, und Treibhausgasemissionen oder für die Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und die Kreislaufwirtschaft, oder
  • eine Investition in eine wirtschaftliche Tätigkeit, die zur Erreichung eines sozialen Ziels beiträgt, insbesondere eine Investition, die zur Bekämpfung von Ungleichheiten beiträgt oder den sozialen Zusammenhalt, die soziale Integration und die Arbeitsbeziehungen fördert oder eine Investition in Humankapital oder zugunsten wirtschaftlich oder sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen,
  • vorausgesetzt, dass diese Investitionen keines dieser Ziele erheblich beeinträchtigen und
  • die Unternehmen, in die investiert wird, Verfahrensweisen einer guten Unternehmensführung anwenden, insbesondere bei soliden Managementstrukturen, den Beziehungen zu den Arbeitnehmern, der Vergütung von Mitarbeitern sowie der Einhaltung der Steuervorschriften.

So wortreich diese Definition im Sinne der ESG-Kriterien für Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung formuliert ist, so sehr ist sie auch allgemein gehalten. Für das wirksame und messbare Umsetzen von Maßnahmen sowie letztendlich das Erreichen der anvisierten Ziele bedarf es Konkretisierungen in Gesetzesform.

Die EU-Kommission nennt zwar wortreich ihre großen Pläne, bleibt jedoch konkrete Ziele und Bewertungskriterien weitgehend schuldig. Die vorhandenen Regelwerke sind lückenhaft und unvollständig. Daraus ersteht für Banken, Versicherungen und Finanzberater ein großes Dilemma.

  • Nachhaltige Investitionen sollen sich an den europäischen ESG-Kriterien orientieren. Bis heute hat die EU (in der Taxonomie-Verordnung) jedoch nur Umweltziele (E) definiert. Über soziale bzw. gesellschaftliche Ziele (S) wird auf europäischer Ebene in Expertengremien gerade ausführlich diskutiert, Ziele für gute Unternehmensführung (G) gibt es noch nicht einmal als Entwurf.
  • Für lediglich zwei der sechs bekannten Umweltziele hat die EU bereits Bewertungskriterien definiert (und auch diese nur für etwa 100 ausgewählte Wirtschaftstätigkeiten), die festlegen, unter welchen Voraussetzungen wirtschaftliche Tätigkeiten zum Erreichen eines Umweltzieles beitragen bzw. das Erreichen erheblich beeinträchtigen.
  • Es fehlt die Datenbasis, um die Ziele messbar zu machen, denn Unternehmen sollen erst in ferner Zukunft (im Jahr 2025) dazu verpflichtet werden, jene Daten und Informationen zu veröffentlichen, anhand deren der Grad ihrer Nachhaltigkeit im Sinne der EU bewertet werden kann.

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Mit der aktuellen Situation sind Hersteller von Finanzprodukten und Finanzberater wahrlich unglücklich. Sie sollen mit den Anlagegeldern ihrer Kunden unvollständige ESG-Ziele verfolgen, zu denen es derzeit nur wenige Bewertungskriterien für einzelne wirtschaftliche Tätigkeiten gibt und sich die erforderlichen Nachhaltigkeits-Daten von Unternehmen quasi aus den Fingern saugen. Diese missliche Situation macht es in der Praxis äußerst schwierig, nachhaltige Finanzprodukte gemäß den (lückenhaften) EU-Kriterien zu gestalten und zu beraten.

Ein weiterer Aspekt, der Finanzdienstleister hinsichtlich EU-konformer nachhaltiger Finanzprodukte nicht glücklich macht, sind die umfassenden, um nicht zu sagen überbordenden Dokumentations- und Berichtspflichten. Die dazu erforderlichen Details, so genannte technische Regulierungsstandards, gibt es – das wird Sie an dieser Stelle nicht mehr wundern – derzeit nur als unfertigen Entwurf.

Sie sollten eigentlich schon lange in der finalen Version vorliegen, wurden aber mehrfach verschoben und sollen am 1. Januar 2023 endlich fertig sein. Das sind dann, wenn es nicht zu einer weiteren Verschiebung kommt, etwa zwei Jahre nachdem die Finanzindustrie diese Standards dringend gebraucht hätte.

All die lückenhaften und fehlenden Regelwerke führen bei Finanzdienstleistern zu erheblichen aufsichtsrechtlichen und zivilrechtlichen Risiken. Diesen Risiken müssen Banken, Versicherungen und Finanzberater angemessen begegnen und sie reduzieren (diese gesetzlichen Bestimmungen liegen nämlich schon vor, und die Aufsichtsbehörde kontrollieren das angemessene Berücksichtigen von Nachhaltigkeitsrisiken bereits).

Wozu wird das führen? Eventuell – und verständlicher Weise – dazu, dass nachhaltige Finanzprodukte gemäß den EU-Kriterien nicht jenen Stellenwert erlangen, den sich die EU wünscht. Zumindest so lange nicht, bis die EU ihrer eigenen Pflicht nachkommt, das erforderliche Regelwerk vollendet und damit Rechtssicherheit herstellt.


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Lesen Sie Beitrag 4: Nachhaltig ist nicht gleich nachhaltig


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