Header_Sustainable_Entrepreneur_Nachhaltig_investieren

Nachhaltig ist nicht gleich nachhaltig


Haben Sie schon einmal eine Vernissage besucht, bei der ein Maler seine Bilder ausgestellt hat? Wenn ja, dann sind Sie wahrscheinlich vor den Werken des Künstlers gestanden, haben diese betrachtet und auf sich wirken lassen. Manche Gemälde werden Ihnen gut gefallen haben, andere vermutlich weniger. Über Geschmack lässt sich ja bekanntlich nicht streiten. Ob Sie ein Bild schön finden, liegt einzig und alleine im Auge des Betrachters.

Ebenso vielfältig und persönlich wie die Vorlieben bei Kunst sind, sind die individuellen Sichtweisen zur Nachhaltigkeit. Trägt Elektromobilität zum Klimaschutz bei? Ist Strom aus Atomkraft eine nachhaltige Energieform? Soll Fast Fashion, also billige Kleidung, die oft nur wenige Male getragen wird, verboten werden? Dazu gibt es viele verschiedene Meinungen. Die eine richtige Antwort auf diese und viele weitere Fragen gibt es selten.

Können Sie sich vorstellen, dass Ihnen jemand vorschreibt, welche Bilder Sie als schön zu bewerten haben, und welche als hässlich? Also zum Beispiel, dass Albrecht Dürers „Feldhase“ und Leonardo da Vincis „Mona Lisa“ schön sind, aber nicht Andy Warhols Kunstdrucke und Keith Harings Pop Art. Würden Sie sich das von einer Verordnung der Europäischen Kommission verschreiben lassen? Wohl kaum. Genau das macht die EU aber mit der Nachhaltigkeit. Nachhaltig im europäischen Sinn ist nur, was den EU-Kriterien entspricht.



Nicht nur Ihnen als Anlegerin oder Anleger hat die EU eine Norm für Begriffe wie „nachhaltige Investition“ und „Nachhaltigkeitsfaktoren“ vorgesetzt, sondern auch der Finanzindustrie. Sie brauchen sich ebenso wenig wie Anbieter von Finanzprodukten und Finanzberater fragen, ob Elektromobilität zum Klimaschutz beträgt. Die EU sagt ja, also ist das so. Die EU gibt Ihnen auch die Antwort auf die Frage, ob Atomenergie eine nachhaltige Energieform ist. Sie wird es (unter bestimmten Voraussetzungen) sein. Da spielt es auch keine Rolle, ob das ganze Staaten wie Österreich oder Deutschland anders sehen.

In der Taxonomie-Verordnung legt die EU erstmals fest, unter welchen Voraussetzungen eine wirtschaftliche Tätigkeit zum Erreichen eines Umweltzieles beiträgt und wodurch das Erreichen eines Umweltzieles erheblich beeinträchtigt wird. Wirtschaftstätigkeiten gibt es tausende verschiedene, sie reichen vom Anbau von Getreide und dem Kabelnetz-Leitungstiefbau über die Herstellung von Strumpfwaren bis zum Bestattungswesen und der Zementherstellung. Und für jede einzelne soll es irgendwann Bewertungskriterien für deren Nachhaltigkeit geben.

Weil das ein wahres Mammut-Vorhaben ist, gibt es erste Bewertungskriterien nur für etwa hundert Wirtschaftstätigkeiten sowie für nur zwei von sechs Umweltzielen. Grenzwerte für beispielsweise den verursachten CO2-Ausstoß einer Tätigkeit sind auf drei Nachkommastellen genau festgelegt (ein paar Beispiele finden Sie im Beitrag „Taxonomie & Co.“). Dank diese Detailliebe umfasst schon dieser erste Puzzle-Stein in Form einer EU-Verordnung 349 Seiten. Rechnen Sie im Geiste hoch, wie dick das gesamte Regelwerk werden könnte, wenn es für alle sechs Umweltziele und alle Wirtschaftstätigkeiten vorliegt!

Angesichts dieses Vorhabens der EU schrieb der von mir geschätzte Josef Urschitz im Dezember 2021 in der Tageszeitung DIE PRESSE unter der Überschrift „Wie die EU eine gute Idee zu Tode reguliert“ (externer Link): Green financing droht zum Bürokratiemonster zu mutieren.


Zurück zur Beitrags-Übersicht

Lesen Sie Beitrag 5: Nachhaltigkeitspräferenzen in der Beratung


Header_Sustainable_Entrepreneur_Melden_Sie_sich_zum_Newsletter_an